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Ehepaar Nicole und Michael: Unsere Begegnung im Zug war kein Zufall.

Wenn alles normal zugegangen wäre, hätten sich Nicole und Michael nie getroffen. Damals auf der Bahnstrecke vom Bodensee Richtung Ostalb. Heute sind die beiden ein glückliches Paar – und haben zwei kleine Söhne.

Pärchen mit Brille sitzt in der Hocke und hält jeweils ein Kind vor sich im Arm. Die Frau trägt einen Sonnenhut. Alle Personen sind am lachen. Im Hintergrund liegt eine Picknickdecke auf dem Boden.

Ihrer Mutter zuliebe steigt Nicole an diesem Freitagnachmittag in den Zug. Eigentlich würde sie das Wochenende lieber in ihrer neuen WG in Konstanz verbringen. „Mama vermisst mich halt“, tröstet sich die Studentin. Denn jetzt liegen vier lange Stunden Bahnfahrt vor ihr, bis sie endlich in Lauchheim ist. Dreimal Umsteigen inklusive. Welche Wendung ihr Leben heute nimmt, ahnt sie noch nicht.

Die Chipstüte

Nicole findet einen freien Platz in einer Vierer-Sitzgruppe. Ausgerüstet mit einer Tüte Chips und ein paar angesagten Filmen auf dem Handy wird sie die Zeit schon irgendwie durchstehen. Ab und zu schaut sie aus dem Fenster. Denkt zurück an ihre Zeit als Aupair in den USA, die erst seit ein paar Wochen vorbei ist. Dann weiter mit dem Film auf dem Handy, ein paar Chips zwischendurch. Sie spürt einen Blick aus dem Vierer schräg gegenüber. Ein junger Mann starrt auf ihre Chipstüte. Unentwegt. „Möchtest du denn welche haben?“, fragt Nicole freundlich durchs Abteil. Der Ertappte schaut schnell weg. Neben ihm sitzt ein Mitreisender und liest in einem Buch. „Nicht so Handy-verrückt wie ich“, denkt sich Nicole.

Pärchen mit kurzen Haaren und Brille sitzt in der Hocke und hat zwei Kleinkinder auf dem Schoß an einem Steinstrand. Hinter ihnen befindet sich ein See.

Als das Schicksal anklopfte, haben Nicole und Michael „Ja“ gesagt. Auch 6 Monate Distanz konnten die beiden dann nicht mehr auseinanderbringen.

Der Bücherwurm

Schon stoppt der Zug im Bahnhof Radolfzell. Nicole schnappt schnell ihr Gepäck, raus aus dem Abteil und ab auf den nächsten Bahnsteig zum Anschlusszug nach Ulm. Dort entdeckt sie den Mann wieder, der in ihrem Zug gerade noch in sein Buch vertieft war. Einsteigen. Nicole spürt, dass er ganz in ihrer Nähe sitzt. Blickkontakt? Fehlanzeige.

Nächster Halt: Ulm Hauptbahnhof. Umsteigen für Nicole. An einem abgelegenen Gleis. Der Bücherfreund läuft hinter ihr. „Das kann doch nicht sein“, schießt es Nicole durch den Kopf. Sie bleibt stehen. Er geht an ihr vorbei. Beide treffen sich wieder am Bahnsteig vor dem Zug nach Heidenheim.

Die Connection

„Jetzt fahren wir ja gleich zum dritten Mal im selben Zug!“ sagt Nicole zu ihm. Im Gespräch vergeht die nächste Dreiviertelstunde wie im Flug. Sie sind beide auf dem Weg zu ihren Eltern, haben jeweils viele Geschwister und Verwandte. Beide studieren Lehramt in Konstanz. Und die USA als Thema. Michael macht morgen in Heidenheim den Sprachtest für sein Auslandssemester in den Staaten. Und wollte eigentlich einen Zug früher nehmen, um sich noch in Ruhe darauf vorzubereiten. Aber er kam nicht rechtzeitig von der Uni in Konstanz los.

Das Zugticket

„Wann fährst du wieder zurück?“, fragt Nicole noch. „Wir könnten uns doch das Baden-Württemberg-Ticket teilen.“ Es wäre schade, wenn wir nicht mehr Zeit miteinander hätten, denkt sie für sich. Die Handynummern sind schnell ausgetauscht. Zwei Tage später fahren Nicole und Michael wieder im Zug zurück nach Konstanz – gemeinsam. „Ich hatte noch sie so einen trockenen Mund vom vielen Reden“, erinnert sich Nicole bis heute. Und dass da im Zug etwas ganz Besonderes passiert ist. „Eine Stimme im Hintergrund hat mir gesagt: Das ist der Mann, der dich ein Leben lang begleiten wird.“

Im Glück

Die gemeinsame Wellenlänge ist geblieben. Hat über die Trennung des jungen Paars geholfen, als Michael ein halbes Jahr in den USA studiert hat. Danach haben die Beiden geheiratet. „Das war am 12. November 2016. Da war ich mit unserem Sohn Levi im 8. Monat schwanger.“ Seit November 2018 bereichert auch Samuel das Familienglück.

 „Wir sind große ÖPNV-Fans“, sagt Nicole. „Aber als ich schwanger war, wurde die Zugstrecke zu unseren Eltern nach Heidenheim und Lauchheim sehr beschwerlich für mich. Die vielen Fahrgäste. Und die Hitze im Sommer.“ Für lange Strecken nutzt die vierköpfige Familie inzwischen ein eigenes Auto. Alle anderen Wege legen sie mit dem Fahrrad samt Anhängern für die Kinder zurück. Und fahren gern mal mit der Fähre über den Bodensee. Sohn Levi unternimmt die Kindergarten-Ausflüge mit dem Regionalbus. Papa Michael freut sich, dass er auf seinen Dienstreisen entspannt im Zug arbeiten kann.

Und Nicole? Sie beginnt nach der Elternzeit im nächsten Jahr ihr Referendariat als Lehrerin. Ihre erste Begegnung mit Michael wird sie nie vergessen: „Das war vorherbestimmt, dass wir genau in diesen drei Zügen saßen. Da hat irgendjemand die Weichen in unser Glück gestellt.“

Magazin-Artikel veröffentlicht am 28.07.2020