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Seit 40 Jahren: Eine Werkstatt wächst mit ihren Aufgaben.

In 40 Jahren hat sich in Baden-Württemberg im Zugverkehr so Einiges verändert. Um eine Vorstellung darüber zu bekommen, wirft man einen Blick in die Bahnbetriebswerkstatt der Südwestdeutschen Landesverkehrs-AG (SWEG) in Gammertingen auf der Schwäbischen Alb. 

Zugwerkstatt, drei Männer reparieren ein Gerät während zwei Züge auf Hebebühnen stehen.

Die SWEG wartet und reinigt in der Kleinstadt bei Sigmaringen knapp 50 Schienenfahrzeuge mit Dieselantrieb unterschiedlicher Generationen. Eindeutig der Oldie im Triebwagen-Fuhrpark ist der NE 81. „Die Zahl steht für das Jahr, als die ersten Exemplare ausgeliefert wurden, also 1981“, weiß Jürgen Dalariva, stellvertretender Leiter der Werkstatt. Die beiden Buchstaben sind die Abkürzung für eine Typenbezeichnung, die in der Rückschau eher diskriminierend ist: Nichtbundeseigenen Eisenbahnen. Er war für wenige Privatbahnen als ein kantiger und einfach konstruierter Zugtyp entwickelt worden, der damals im Streckennetz der Deutschen Bundesbahn übers Abstellgleis nicht hinauskam. 

Vier Exemplare sind immer noch im Streckennetz der SWEG im Einsatz und werden in der Werkstatt regelmäßig instandgehalten. Aus dem Jahr 1981 stammen auch die ältesten Gebäudeteile der Betriebsstätte. Sie ist seither mit ihren Aufgaben alle zwei Jahrzehnte stetig gewachsen. 2001 kam eine 150 Meter lange Halle für den Dieseltriebwagen mit Namen Regioshuttle 1 hinzu. Mit 24 Stück am Standort Gammertingen ist der RS1 für die SWEG der wichtigste Verkehrsträger. Inzwischen erstreckt sich die Werkstatt über eine Fläche von fast 6000 Quadratmetern. Und das unmittelbar im Ortskern von Gammertingen. 

Seit Juni 2019 teilen sich die Werkstattmitarbeiter ihren Arbeitsplatz mit Bauarbeitern und Handwerkern. Die schaffen Platz für den jüngsten Neuzugang im Fuhrpark: 10 Dieseltriebwagen des aktuellen Typs Lint 54 vom Hersteller Alstom. Er fällt nicht allein wegen seiner modernen Optik auf, sondern besonders durch seine Länge. „Bisher waren 25 Meter für einen Werkstattplatz Standard. Der Lint ist mit 54 Meter mehr als doppelt so lang“, begründet Dalariva, warum es mit kleinen Umbauarbeiten nicht getan ist. So muss die Werkstattgrube entsprechend auf seine Länge verlängert werden. Auf die neuen Züge abgestimmte Ablufthauben wurden bereits installiert, damit die Abgase aus den Dieselmotoren vollständig ins Freie geleitet werden.

Ein bwegt-Zug und ein weiß-roter Zug auf Hebebühne in einer Werkstatt.

„Mit den Aufgaben müssen auch die Kenntnisse der Mitarbeiter wachsen“, sagt Timo Jung, Fachbereichsleiter der SWEG für Fahrzeuge und Werkstätten Eisenbahn. „Die neuen mit viel digitaler Technik ausgestatteten Triebwagen sind eine große Herausforderung.“ Nicht jeder altgediente Mechaniker fühlt sich vor dem Notebook wohl. Der NE 81 und der 40 Jahre jüngere Lint 54 sind kaum miteinander vergleichbar. Im Führerstand ist analoge Technik digitalen Anzeigen und Elektronik gewichen. Nicht mehr Schalthebel und Tachoanzeigen, wie bei den alten Fahrzeugen, sondern Displays dominieren die moderne Steuertechnik. „Das ist so, als steht ein Golf aus den 70er Jahren in der Werkstatt neben dem neuesten Modell und bei beiden muss der Kundendienst gemacht werden“, beschreibt der stellvertretende Werkstattleiter Hans Messmer, wie flexibel und kenntnisreich seine Kollegen inzwischen bei den Wartungsarbeiten sein müssen. Früher mussten sie Fingerspitzengefühl zeigen, um ein dünnes Kabel in der Bordtechnik zu erneuern. Die Technik des Lint wiederum ist vollbepackt mit Steuerungssoftware. Zur Wartung gehört dann ebenso, ein Update des Herstellers auf die Führerstandrechner zu spielen. Aktualisierungen hat es kurz nach der Auslieferung einige geben.

Zwei Männer schauen sich die Vorderseite von einem bwegt-Zug in der Werkstatt an.
Zug-Cockpit von innen.

36 Beschäftigte hat die Werkstatt. Dazu kommen elf Reinigungskräfte großenteils in Teilzeit. Vier Mitarbeiter machen eine Ausbildung als Industriemechaniker mit Schwerpunkt Instandhaltung. Seit zwei Jahren bietet die Werkstatt die Ausbildung zum Elektrotechniker an. „Bei uns gibt es eine solide Ausbildung mit einem breiten Spektrum“, sagt der stellvertretende Werkstattleiter. „Trotzdem tun wir uns schwer, Bewerber zu finden. Der Pool ist kleiner geworden.“ Über die Gründe kann er nur spekulieren. Die Arbeit ist alles andere als eintönig. Über die Wartungsroutine hinaus müssen sich die Mitarbeiter beispielsweise in der Klimatechnik auskennen und Drehgestelle aus- und einbauen. Fahrzeugkomponenten werden mit Ultraschall auf Fehler geprüft. Wenn ein Graffitisprayer mal wieder zugeschlagen hat, muss der Lack von der Farbe befreit werden.

Die in Gammertingen gewarteten Fahrzeuge fahren in den südlichen Landesteilen, auf der Schwäbischen Alb oder am Bodensee. Im Juni 2019 kam der regionale Zugverkehr von Ulm über Heidenheim nach Aalen beziehungsweise von Ulm nach Munderkingen hinzu. Dafür hat die SWEG die zehn Lint-Züge angeschafft. Alle 25.000 Kilometer fahren sie nach und nach aus dem Ostteil des Landes zur Wartung nach Gammertingen. Sechs Mann sind knapp einen Arbeitstag beschäftigt, das dicke Checkbuch abzuarbeiten. Täglich kommen ein bis zwei Fahrzeuge auf den Prüfstand. Reparaturarbeiten werden möglichst mit eigenen Kräften und zeitnah erledigt. Fallen mehr als zwei Züge wegen größerer Schäden länger aus, könnten Fahrpläne durcheinandergeraten.

Oldtimer pflegen und moderne Zugtechnik beherrschen – sein Team in Gammertingen hat beides gut im Griff, lobt Jung. „Die Mitarbeiter ziehen alle mit.“ Es gebe eine gute Mischung aus Alt und Jung, sagt er. Der SWEG-Fachbereichsleiter hat seinen Dienstsitz in Endingen am Kaiserstuhl. Alle zwei Wochen kommt er auf die Schwäbische Alb. Dazwischen hält er Kontakt zu seinen Mitarbeitern in Videokonferenzen. Die Bahnbetriebswerkstatt in Gammertingen ist so breit aufgestellt, dass sicher auch noch in den kommenden Jahren neue und alte Eisenbahnen am Laufen gehalten werden.

Magazin-Artikel veröffentlicht am 19.12.2019

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