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„Lokführer werden – das ist Sicherheit für meine Familie und mich.“

Shadi Hentayeh ist vor vier Jahren mit seiner Frau und seinem kleinen Sohn vor dem Krieg aus Syrien geflohen. Inzwischen hat der Mechaniker hier in Baden-Württemberg eine zweite Heimat gefunden. Und einen Beruf mit Zukunft.

Lokführer steht grinsend mit Warnweste auf einem Bahnsteig und lehnt sich mit einem Arm an einen bwegt-Zug an.


Es ist sein Praktikumsbetreuer, der Shadi Hentayeh auf die Idee bringt, sich für eine Ausbildung als Lokführer zu bewerben: „Er hat mir einen Zeitungsartikel gebracht. Darin wurde der Beruf des Triebfahrzeugführers beschrieben. Er meinte, das wäre was für mich.“ Zu diesem Zeitpunkt macht der Syrer bei einem Automobilkonzern ein Praktikum für Flüchtlinge. Und sein Betreuer weiß, dass er dort sehr unglücklich ist. Weil er den ganzen Tag am Fließband steht und Schrauben festzieht. Diese monotone Arbeit füllt den ausgebildeten Zerspanungsmechaniker nicht aus. Er weiß, dass er das ändern muss.

Erst mal Deutsch büffeln

Also macht sich Shadi Hentayeh auf den Weg. Schaut sich bei verschiedenen Eisenbahnunternehmen um. Auch bei Go-Ahead. „Mein Deutsch war damals nicht gut“, erinnert sich der 36jährige. „Die Ausbildungsleiterin bei Go-Ahead hat zu mir gesagt, ich solle zuerst mein Deutsch verbessern.“ Denn um eine Qualifizierung zum Triebfahrzeugführer machen zu können, braucht man auch Deutschkenntnisse der Stufe B2. Also lernt Shadi Hentayeh so viel er kann. Und erreicht das geforderte Sprachniveau. 

Dann erzählt ihm die Ausbildungsleiterin von einem Modellprojekt, das in Kürze starten soll: 15 Flüchtlinge können sich von Oktober 2019 an zum Triebfahrzeugführer ausbilden lassen. Und sind in diesen 12 Monaten bei einem Eisenbahnunternehmen angestellt. „Wenn Sie alle Prüfungen bestehen, bekommen Sie einen unbefristeten Arbeitsvertrag von uns“, erklärt sie Shadi Hentayeh. Das lässt er sich nicht zweimal sagen. Er ist von Go-Ahead überzeugt. Dort sprechen die Mitarbeiter Hochdeutsch mit ihm. Denn der schwäbische Dialekt ist immer noch eine unüberwindbare Hürde für ihn. Was „a bissle“ ist, hat er erst verstehen können, als es für ihn ins Hochdeutsche übersetzt wurde. „Außerdem hat Go-Ahead neue Züge“, freut sich der gelernte Mechaniker.

Lokführer steht mit seiner Frau, seinem Sohn und seiner Tochter vor einem bwegt-Zug. Kinder sind noch sehr jung und schauen etwas mürrisch.

„Als Lokführer kann ich auf eigenen Beinen stehen, meine Familie ernähren – und die Arbeit macht mir großen Spaß“, freut sich Shadi Hentayeh. Das stolze Familienportrait entstand noch vor Corona.

12 Stunden am Tag Theorie lernen

Der erste Teil seiner Ausbildung fand zusammen mit den anderen Flüchtlingen in den Schulungsräumen der MEV Eisenbahn-Verkehrsgesellschaft in Mannheim statt. „Go-Ahead hat da eine Wohnung für mich gemietet. Dort konnte ich auch noch abends in Ruhe lernen“, erzählt Shadi Hentayeh. Frau, Sohn und die inzwischen in Deutschland geborene Tochter wohnen weiterhin in Weil der Stadt. 

Die Zeit bis zur Theorieprüfung im Mai 2020 besteht fast nur aus Lernen. Der Ausbilder der MEV hat viel Geduld, hängt auch nach dem regulären Unterricht noch Stunden dran, wenn nötig. Und die Flüchtlinge unterstützen sich gegenseitig. Vor allem, als der Unterricht wegen Corona nur noch online stattfinden kann. Auch die Ausbildung im Fahrsimulator erfolgt nur noch zu zweit. Das Ergebnis: Alle 15 Flüchtlinge bestehen die große Hürde!

Mann mit Glatze und Warnweste steht lächelnd vor einem bwegt-Zug und lehnt sich mit seiner linken Hand an den Zug an.

Oliver Becker ist unsagbar stolz auf „seine“ Lokführer-Azubis. Bei ihm machen sie sich mit dem Go-Ahead-Regelwerk und der Fahrzeugtechnik vertraut. Heute gilt natürlich: Maske auch auf dem Bahnsteig.

Technik und 1000 Seiten Regelwerk

Fehlt nur noch ein sauberer Lauf durch die Praxisprüfung, dann darf sich Shadi Hentayeh „Triebfahrzeugführer“ nennen. Darauf bereitet ihn Oliver Becker vor: Er bildet vier Flüchtlinge bei Go-Ahead in der unternehmensspezifischen Fahrzeugtechnik und nach dem Go-Ahead-Regelwerk aus. „1000 Seiten hat das. Das lerne ich alles“, sagt Azubi Hentayeh. Wichtig ist Oliver Becker, „dass ich die Inhalte des Theorieunterrichts auch direkt am Fahrzeug erkläre. Das erleichtert das Verständnis ungemein.“ Auch er hat unendlich viel Geduld. Das schätzen seine Azubis.

Endlich im Führerstand

Go-Ahead hat als eines der wenigen Unternehmen auch in Zeiten von Corona jetzt die praktische Fahrausbildung in den Zügen begonnen – nicht wie andere im Simulator. Und so hat der Flüchtling aus Syrien jetzt schon seine sechste Schicht im Führerstand hinter sich unter den sachkundigen Augen seiner Trainerin. Wenn er frühmorgens den Zug von Stuttgart nach Karlsruhe fährt, beeindruckt ihn neben der modernen Technik auch der Sonnenaufgang. „Viele Leute wollen verreisen. Ich kann das jeden Tag“, sagt Shadi Hentayeh stolz. Wenn er 40 Schichten voll hat, wird er zugelassen für die praktische Prüfung – und darf dann endlich selbstständig Züge steuern.

Mit Freude arbeiten

Und dann? „Ich möchte auf eigenen Beinen stehen und meine Familie ernähren“, erklärt der Syrer. „Lokführer ist ein wichtiger Beruf. Ich bin gut ausgebildet und habe viel Verantwortung.“ Am Fließband war er bedeutungslos, findet er. Und er ist sicher, dass auch andere Flüchtlinge diesen Beruf ergreifen können und wollen. Deshalb hat er einigen von seinem Weg erzählt.

„Ich stehe jeden Morgen gerne auf und freue mich auf meine Arbeit“, sagt Shadi Hentayeh noch. „Ich suche eine Zukunft, Sicherheit und Respekt. Das habe ich in diesem Beruf gefunden.“

Für alle, deren Kindheitstraum auch war: einmal Lokführer sein! Hier geht’s zu den Stellenangeboten.

Magazin-Artikel veröffentlicht am 01.09.2020