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Echtes Familienprogramm: Die Bahn durchs Land der Räuber.

Sie fährt wieder! Viel Mut und noch mehr Leidenschaft haben eine stillgelegte Bahnstrecke aus dem Dornröschenschlaf geweckt. Los geht die Entdeckungsreise durch eine sagenumwobene Region in Oberschwaben – inklusive Eisenbahnromantik. Perfekt für den nächsten Familienausflug.

Alter weißer Zug mit rotem Streifen fährt an einem idyllischen Schwarzwaldhaus mit großem Garten vorbei. Das Haus liegt direkt an den Schienen.

Ungläubig starrt eine Gruppe 10-Jähriger auf den Zug, der da gerade in Pfullendorf ankommt. Neugierig werfen sie einen Blick hinein, bevor er sich dann ohne sie wieder in Bewegung setzt. Ein Zug mitten in Pfullendorf? Das hatten sie noch nie gesehen. „Klar“, sagt Frank von Meißner. „Die Strecke nach Aulendorf war bis 2008 ja auch stillgelegt. Zu unrentabel.“ Heute ist sie ein echtes Juwel für Ausflüge ins Grüne – besonders während des bwAboSommers – und trägt den Namen „Räuberbahn“.

Mann steht lächelnd neben altem Zug und hält sich an einer Halterung am Zug fest. Sein Fuß steht angewinkelt auf der Trittstufe. Er trägt eine schwarze Hose und ein blaues Hemd.

Manchmal steuert Eisenbahner Frank von Meißner die Räuberbahn auch selbst – zurecht ein bisschen stolz. Zusammen mit engagierten Freiwilligen setzte er sich für den Erhalt der Strecke zwischen Pfullendorf und Aulendorf ein. Bild: Leander Matzek

Die Streckenretter

Eisenbahner durch und durch ist Frank von Meißner. Sein Beruf ist seine Leidenschaft. Und so macht er sich in jeder freien Minute mit ein paar Gleichgesinnten daran, die alten Gleise wieder instand zu setzen. Fast wäre die Strecke dem mächtigen Damm einer neuen Umgehungstraße zum Opfer gefallen. Hätten da nicht die mutigen Kommunen Altshausen, Ostrach und Pfullendorf die Gleisstrecke gekauft und wieder in Betrieb genommen. Mit Unterstützung vom Land. Und natürlich dem unermüdlichen Einsatz von beherzten Nahverkehrs-Experten und Liebhabern der Eisenbahn. Im Sommer 2009 ist es soweit: Der Zug fährt wieder.

Zuerst sind es vor allem die Eisenbahnfans, die auf der wiederbelebten Strecke unterwegs sind. Weil dort der 628er Triebwagen echte Eisenbahnromantik verbreitet. Dann entdecken die Anwohner die neue Bahn, die sie sonntags zum Eisessen nach Pfullendorf und in die Therme nach Aulendorf bringt. Und schließlich kommen die Sonntagsausflügler dazu. Für sie legen sich die Eisenbahn- und Nahverkehrsexperten besonders ins Zeug.

Schrankenposten mit an Bord

Sogar ehrenamtliche Zugbegleiter werden engagiert. Einer davon ist der Berufsmusiker Florian Graf. „Eigentlich wollte ich das nur einmal aushilfsweise machen“, erinnert er sich. Aber er hat sich in die Pfullendorfer Strecke verliebt und betreut auch in diesem Sommer wieder die Fahrgäste in der Bahn. Beantwortet ihre Fragen und weist per Durchsage auf die Attraktionen rechts und links der Strecke hin. 

Wenn der Zug plötzlich mitten auf der Stecke hält, steigt Florian Graf aus. Ausgerüstet mit orangefarbener Warnweste und einer weiß-rot-weißen Flagge sichert er dann einen von vier Bahnübergängen, an denen die Schranken noch nicht wieder in Betrieb sind. Stoppt den Straßenverkehr, damit die Bahn passieren kann. Dann steigt er wieder ein, die Fahrt kann weiter gehen. 

Mann steht als Räuber verkleidet am Ausgang eines Zugs und schaut hinaus. Er hat einen grauen langen Bart und trägt einen blauen Mantel mit einem schwarzen Hut auf dem Kopf.

Hoffentlich bald wieder in Einsatz: Max Elsässer, Nachfahre des Räubers „Grandscharle“. Aktuell in Corona-Pause, erzählt er in der Räuberbahn sonst regelmäßig vom Unwesen der umtriebigen Gaunerkollegen. Bild: Lena Kessler

Schaurige Räubergeschichten 

Die Vollbluteisenbahner feilen weiter an ihrem Konzept. Die Bahn fährt durch eine Region Oberschwabens, in der vor 200 Jahren Räuber ihr Unwesen trieben. Vorne mit dabei der Schwarze Vere. Im Königseggwald bei Ostrach wurde ihm schließlich das Handwerk gelegt. Eingesperrt im Sünderturm von Biberach erschlug ihn in einer Gewitternacht der Blitz. „Das war die zündende Geschichte und der Name ‚Räuberbahn‘ geboren“, erinnert sich Frank von Meißner. Klar, dass deshalb auch ein Räuberhauptmann her musste, der im Zug seine schaurigen Geschichten erzählt. 

Eseltrekking, Radtour, Geocaching

Die stille Region nördlich des überlaufenen Bodensees besticht aber auch durch ihre Naturjuwelen: Wie etwa die wilde Moorlandschaft des Pfrunger-Burgweiler Rieds, eben jenen Königseggwald oder das Drei-Seen-Gebiet. Die lassen sich bei einem Zwischenstopp auf der Räuberbahn gut zu Fuß oder mit dem Rad entdecken. Praktisch, dass der Fahrrad-Transport im Zug auf dieser Radexpress-Strecke durch Oberschwaben kostenlos ist.

Zwei Frauen, ein Kind und ein Esel stehen auf einer Wiese und im Hintergrund ist ein roter Zug.

Eseltrekking, Radtouren, Geocaching – und natürlich Eisenbahnromantik vom Feinsten. Mit viel Herzblut haben die leidenschaftlichen Streckenretter die Räuberbahn zu einer der schönsten Freizeit-Attraktionen in Baden-Württemberg gemacht. Bild: Frank von Meißner

Über 40 Touren entlang der Strecke hat ein Team aus Bodo-Verkehrsverbund, Eisenbahnfreunden und Touristikern inzwischen ausgetüftelt. Egal ob Eseltrekking in Burgweiler, Räuberstadtführungen, Geocache-Abenteuer im Seepark Linzgau, eine 3-Länder-Radtour rund um Ostrach – selbst bei Regenwetter hält die Gegend entlang der Räuberbahn unzählige Überraschungen bereit. 

Und ständig kommen neue hinzu: „Im Herbst eröffnen wir den Räuberweg vom Bahnhof Ostrach zum Bahnhof Hoßkirch. Infostelen informieren die Spaziergänger dann über die Natur, die Region und natürlich über die räuberische Vergangenheit“, verrät Frank von Meißner. Und ein Räuberradweg von Altshausen nach Pfullendorf ist auch schon in Planung.

Viel Platz trotz steigender Beliebtheit

So viel Engagement wird honoriert. Zum einen durch die steigenden Fahrgastzahlen. Das macht die Strecke zunehmend rentabler. Mit der Folge, dass die Räuberbahn jetzt auch samstags fährt und auf der ersten sowie letzten Verbindung am Tag sogar ab/bis Ulm. „Ein Gedränge gibt’s trotzdem nicht im Zug“, weiß Florian Graf. Denn der Triebwagen vom Typ 628 bietet für Passagiere und Fahrräder genug Platz.

Magazin-Artikel veröffentlicht am 13.08.2020