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Büffeln für eine neue Zukunft: Schafft Abdalmajed die Lokführer-Prüfung?

40 Tage Fußmarsch hat Abdalmajed Alfares durchgehalten auf seiner Flucht nach Deutschland. Auch die Ausbildung zum Lokführer bei Abellio fordert all seine Kräfte. Kann er die Prüfung bestehen – und ein neues Leben beginnen?

Abdalmajed Alfares steht am Bahnhof vor einem Zug.

Ein Bürojob? Da winkt Abdalmajed Alfares energisch ab: „Das ist nichts für mich! Als Triebfahrzeugführer ist man immer unterwegs und trägt viel Verantwortung. Außerdem ist die Kommunikation mit dem Fahrdienstleiter und der Leitstelle wichtig für den Beruf. Das gefällt mir.“

Deshalb wollte er diesen Beruf in Deutschland unbedingt haben. Wenngleich sein Lebensentwurf ein anderer war. Doch der Bürgerkrieg in seiner Heimat hat Abdalmajed Alfares vor sechs Jahren gezwungen, das Jurastudium abzubrechen und aus Syrien zu fliehen.

Portrait von Abdalmajed Alfares im Führerstand.

Geschafft: Abdalmajed sitzt seit Oktober 2020 am Steuer der Abellio Regionalbahn und genießt die Aussicht bei der Arbeit.

Qualifizierung Geflüchteter zu Triebfahrzeugführern

Das Modellprojekt „Qualifizierung Geflüchteter zu Triebfahrzeugführern“ des Verkehrsministeriums Baden-Württemberg hat Abdalmajed Alfares und 14 weiteren Teilnehmern diesen Weg ermöglicht. Arbeitslos sein war für ihn keine Option.

Sein Ansprechpartner bei der Agentur für Arbeit, die das Projekt zusammen mit den beteiligten Verkehrsunternehmen finanziell unterstützte, hat ihn auf diese Weiterbildung aufmerksam gemacht. Der junge Syrer fand auch gleich ein Stellenangebot bei Abellio – und bekam den Qualifizierungsplatz.

Aller Anfang ist schwer

Frontalunterricht absitzen? Fehlanzeige. Schon am ersten Tag der Qualifizierung stellte der Ausbilder klar: Die  Teilnahme am Unterricht reicht nicht, um den Kurs zu bestehen. „Jeden Tag gab es neuen Stoff“, erinnert sich Abdalmajed Alfares, „manchmal bis zu 50 Seiten. Das muss man abends zu Hause wiederholen, sonst vergisst man alles.“

Und das bedeutete, bis zu vier Stunden am Abend weiterlernen. Vor allem die ersten zwei Monate empfand er schwierig. „Aber das ist normal“, meint Alfares mit einem Lächeln. „Schließlich gibt es das Sprichwort ‚Aller Anfang ist schwer‘ auch in Syrien.“

Die Eisenbahnsprache lernen

Abdalmajed Alfares hat schnell sehr gut Deutsch gelernt. Sein Talent, ein Sprachkurs und seine deutschen Freunde haben ihm dabei geholfen. „Bei der Qualifizierung zum Triebfahrzeugführer muss man aber noch die ganz eigene Eisenbahnsprache lernen mit den vielen Fachbegriffen. Das war das Schwierigste“, meint er.

Und so musste er komplexe Zusammenhänge erst in seine Muttersprache übersetzen, um sie zu verstehen und sie dann auf Deutsch lernen. „Wir Kursteilnehmer haben uns gegenseitig unterstützt. Und freitagnachmittags hat uns auch der Integrationsbeauftragte geholfen,“, erzählt der junge Syrer. Die Coaches haben die Teilnehmer des Modellprojekts außerdem bei Behördengängen unterstützt und insgesamt dabei, in Deutschland schnell Fuß zu fassen.

Und aufgeben ist nicht seine Sache. Sonst hätte Abdalmajed Alfares auch nicht die 40 Tage Fußmarsch auf seiner Flucht von Griechenland nach Deutschland durchgehalten. Dennoch hat auch ihm die Unterstützung geholfen, die er von den Ausbildern bekommen hat, und für die er bis heute sehr dankbar ist.

Für Abdalmajed geht’s ums Ganze

Die Qualifizierungsmaßnahme hat 12 Monate gedauert. „Das ist wenig für eine Weiterbildung“, findet Alfares. „Da muss man richtig Gas geben. Sonst schafft man das nicht!“  

Dann kommen die Prüfungstage – und Abdalmajed besteht. Seit Oktober 2020 steuert der 27-jährige Syrer für Abellio Regionalbahnen zwischen Heilbronn-Mannheim, Heilbronn-Tübingen, Stuttgart-Heidelberg und Stuttgart-Pforzheim. „Alles sehr schöne Strecken“, wie er findet.

Und er freut sich, auch als Triebfahrzeugführer jeden Tag sein Bestes zu geben. Abdalmajed ist dankbar, jetzt eigenständig in einem Land ohne Krieg leben zu können, zusammen mit seinen Geschwistern. Allein die Eltern vermisst er. Die Mutter, die in der Türkei lebt, und den Vater, der vor Kurzem dort verstorben ist.

Nicolai Kasper, Referent Eisenbahnbetrieb bei Abellio, hat den heutigen Triebfahrzeugführer teilweise unterrichtet. „Die Qualifizierung ist komplex und anspruchsvoll, selbst mit Deutsch als Muttersprache“, so Kasper. „Deshalb habe ich doppelte Hochachtung vor der Leistung der Geflüchteten, die alle ihre Prüfungen bestanden haben.“

Und er meint: „Das Modellprojekt war eine gute Sache, wir würden uns über eine Neuauflage freuen und uns gerne wieder beteiligen.“ Denn jeder neu ausgebildete Lokführer und jede neue Lokführerin wird dringend benötigt und trägt dazu bei, die Stabilität des Fahrbetriebs zu gewährleisten.

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Magazin-Artikel veröffentlicht am 28.05.2021

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