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Aktuell fahren wir auf Sicht.

bwegt Magazin: Herr Selig, Sie sind Regionalleiter Produktion bei der DB Regio Der aktuelle Fahrplan ist reduziert und deckt die vom Land beauftragte Grundversorgung ab. Sind das nicht entspannte Zeiten für Ihr Unternehmen und die Mitarbeiter?

Martin Selig: In der Tat fahren wir gerade mit einer Leistung von etwa zwei Dritteln des ursprünglichen Umfangs. Von Entspannung kann aber keine Rede sein. Durch die erforderlichen Schutzmaßnahmen für die Belegschaft fällt z.B. jetzt der persönliche Kontakt der Lokführer untereinander und auch zu den Personaldisponenten und Teamleitern weg. Der ist wichtig, weil die Fahrzeugführer während ihres Dienstes im Führerstand sowieso schon die ganze Zeit allein sind. Das versuchen wir jetzt mit alternativen Ansprechformen für die Mitarbeiter, wie z.B. regelmäßigen Telefonkonferenzen auszugleichen. Vor allem zu Beginn der Corona-Krise gab es viele Fragen in der Belegschaft. Dafür hat die DB eine eigene Hotline eingerichtet.

Bwegt-Zug fährt durch eine verlassene herbstliche Landschaft mit einem Berg im Hintergrund.

Ohne Lokführer fährt ja kein Zug. Daher ist es besonders wichtig, dass sich diese Mitarbeiter vor einer möglichen Covid-19-Infektion schützen können. Mit welchen weiteren Maßnahmen unterstützen Sie hier Ihr Personal während des Dienstes?

Wir statten die Triebfahrzeugführer mit Handdesinfektionsmittel, Einmal-Handschuhen sowie Schutzmasken aus. An den Wendebahnhöfen werden die Kontaktflächen in den Führerständen vom Reinigungspersonal desinfiziert. Ansonsten sind die Lokführer auf der Strecke ja alleine in ihrem Führerstand. Nur in der Meldestelle können sie noch mit anderen Kollegen in Kontakt kommen. Diese Situation entzerren wir aber dadurch, dass die Lokführer die aktuellen Streckeninformationen auf ihrem Tablet abrufen können.

Was ist mit den Mitarbeitern, die aufgrund des reduzierten Fahrplans nicht im Dienst sind? Müssen die sich Sorgen um ihre Existenz machen?

Für die DB Regio-Mitarbeiter gibt es auch in den Corona-Zeiten keine Kurzarbeit. Das ist natürlich eine sehr gute Nachricht für unsere Belegschaft.

Ein geringerer Personalbedarf heißt auch, dass der Fachkräftemangel im Bereich der Lokführer aktuell kein Problem ist?

Die Ausbildung unserer 100 bis 130 künftigen Lokführer geht natürlich auch in Zeiten des Lockdown weiter, damit diese uns übers Jahr nicht fehlen. Dafür haben wir die Genehmigung des Verkehrs- und des Sozialministeriums bekommen. Aber auch in der Ausbildung müssen wir die Einhaltung der üblichen Hygienevorschriften sicherstellen. Das bedeutet unter anderem räumlich getrennte und kleinere Gruppen von Auszubildenden.  Dadurch wird die Ausbildung natürlich nicht einfacher. Hier müssen wir eng am Ball bleiben und im Zweifel eine zusätzliche Ausbildungsgruppe aktivieren, um am Ende nicht zu wenig Fachpersonal zu haben.

Baden-Württemberg hat jetzt ja beschlossen, den Schulbetrieb ab 4. Mai Schritt für Schritt wieder hochzufahren. Sind Sie denn so schnell in der Lage, die steigende Zahl an Fahrgästen dann zu befördern?

Die Hochlaufszenarien diskutieren Branche und Besteller schon eine Weile. Wir sind froh, dass wir jetzt konkrete Angaben haben. Dennoch kennt in dieser Phase niemand die tatsächliche Zahl der Fahrgäste. Innerhalb von zwei Wochen den Nahverkehr wieder hochzufahren, ist möglich. Diese Option haben wir bereits mit dem Verkehrsministerium abgestimmt, aber es ist natürlich auch eine Pionierleistung für alle Beteiligten. 

Was sind denn konkret die Herausforderungen?

Es sind vor allem die vielen Tagesfeinplanungen, die aufeinander abgestimmt sein müssen. Man braucht für jede Strecke und Zeit ein Fahrzeug und einen Lokführer. Dann einen Slot auf der Schiene vergleichbar mit dem Luftkorridor im Flugverkehr. Den bekommen wir in Absprache mit der DB Netz. Und dann muss der Ersatz eingeplant werden, falls ein Lokführer oder ein Fahrzeug ausfällt. 

Damit diese Abläufe nach einem Fahrplanwechsel wieder reibungslos funktionieren, haben die Verkehrsunternehmen normalerweise drei Monate Zeit.

Ja, denn die Menge an benötigten Zügen, Lokführern und Slots auf der Schiene ist immens. Deshalb werden die Einsatzpläne nach dem Vier-Augen-Prinzip erarbeitet. In dieser Ausnahmesituation heißt es nun, alle Kräfte extrem bündeln, um die Standards zu halten. Wir müssen sozusagen alle auf Sicht fahren, wie die Eisenbahner sagen. 

Mit welchen Schwierigkeiten rechnen Sie, wenn die Verkehrsunternehmen jetzt so kurzfristig den Betrieb wieder hochfahren müssen?

Wir bereiten uns bestmöglich vor und müssen unsere Kapazitäten sehr genau abwägen. Technische Funktionstüchtigkeit der Fahrzeuge, Umgang mit zum Teil branchenweit eingeschränkten Lieferketten, für all das müssen wir Lösungen finden.

Worauf sollten denn die Fahrgäste achten, wenn Schulen und Betriebe jetzt langsam wieder zur Normalität zurückkehren?

Zum einen weisen wir nach wie vor auf die aktuellen Hygienevorschriften hin, um das Infektionsrisiko so niedrig wie möglich zu halten. Dazu gehört insbesondere das Tragen von Alltagsmasken. Weiterhin gilt auch die große Bitte an die Fahrgäste, sich gleichmäßig in den Zügen zu verteilen, auch wenn das beim Aussteigen einen längeren Fußweg bis ans Ende des Bahnsteigs bedeutet. 

Magazin-Artikel veröffentlicht am 22.04.2020